Besserer Stahl durch Wasserstoff

13.02.2020 | Salzgitter Flachstahl GmbH


Salzgitter Flachstahl nutzt Wasserstoff seit Jahrzehnten in der Glüherei und den Feuerverzinkungsanlagen zur präzisen Einstellung der Produkteigenschaften

Was der Mensch zum Atmen braucht, ist nicht immer gut für den Stahl: Luft und Sauerstoff könnten in der Glüherei und den beiden Feuerverzinkungsanlagen dessen Qualität durch Oxidation beeinträchtigen. Daher kommt bei diesen Produktionsschritten Wasserstoff als Schutzgas zum Einsatz.
Er wird hochkomprimiert und flüssig per Lkw aus Leuna angeliefert und in Salzgitter auf dem Hüttengelände in Flüssiggastanks gelagert, in denen sich sein Volumen nach dem Transport wieder
auf das Zehnfache ausdehnt. Durch die werks­eigenen Versorgungsleitungen strömen ­monatlich 400.000 m3 des Gases in die Glüherei und die Feuerverzinkungsanlagen 1 und 2. Mit diesem Gasvolumen könnte man pro Monat 160 Mio. Luftballons füllen und in jeder Sekunde des Tages 62 davon gen Himmel steigen lassen.
Jede der zwei Feuerverzinkungsanlagen verbraucht vom derzeit in Salzgitter genutzten Wasser­stoff je 100.000 m3 monatlich, die Glüherei die andere Hälfte, 200.000 m3. Dort wird heute ein fast zu 100 % reiner Wasserstoff verwendet. Bei dieser hohen Sättigung muss das Gas zunächst auf bis zu 10 bar Überdruck komprimiert und dann über eine Druckwechsel­adsorptionsanlage getrocknet werden. Dagegen ist der Stickstoff in den Feuerverzinkungsanlagen mit Wasserstoff versetzt – in Anlage 1 mit 20 % und in Anlage 2 mit 5 %.
Durch den Glühprozess erhalten alle ­Feinbleche und eloverzinkten Bleche ihre gewünschte Qualität. Das Erhitzen, Halten der Temperatur und Abkühlen verändert die Struktur des Stahls – man spricht auch vom „Gefüge“ – und verbessert somit dessen Eigenschaften wie Streckgrenze, Zugfestigkeit und Bruchdehnung.

Der Stahl geht auf eine Glühreise

Exakt 81 Glühplätze stehen in der Haubenglüherei für diese Prozedur zur Verfügung. Pro Schicht werden auf acht bis zwölf dieser Sockel jeweils drei bis fünf Coils übereinandergestapelt. Zusammen wiegen sie maximal 100 t und können bis zu 5 m in die Höhe ragen. Dann beginnt die „­Glühreise“, wie Fachleute den gesamten Prozess nennen. Sie dauert 50 bis 80 Stunden.
Zu Beginn der Reise stülpt ein Kran eine Schutzhaube aus Edelstahl über den Coilstapel. Dann flutet Stickstoff den Innenraum, um jeden Rest Sauerstoff wegzuspülen. Anschließend wird über die Schutzhaube eine größere Heizhaube gesetzt. Jetzt zünden zwölf Erdgasbrenner, die den Raum zwischen den beiden Hauben aufheizen. Im gleichen Moment strömt Wasserstoff in die Schutzhaube und verdrängt dort den Stickstoff. Da die Wasserstoffmoleküle sehr klein sind, gelangen sie selbst in den aufgehaspelten Coils zwischen die Stahlblechwicklungen.
In der Schutzhaube erfüllt Wasserstoff zwei Aufgaben, die Dr. Jürgen Spehr, Betriebsleiter Glüherei und Dressierstraße so erklärt: „Es ist erstens ein hervorragender Wärmeleiter und führt die Hitze aus der äußeren Heizhaube entsprechend gut zum Coilstapel. Zweitens beseitigt es die Walzöle, die noch auf dem Material haften. Sie verbrennen bei 200 bis 500 °C – die Temperatur in der Glühhaube liegt zwischen 670 und 720 °C.“
Das Volumen im Prozessraum der Schutzhaube beträgt 30 m3. Da durchlaufend Wasserstoff nachgespült wird, um alle Ölrückstände zu verbrennen, werden pro Glühvorgang etwa 290 m3 des Gases benötigt. Der abgesaugte Wasserstoff wird verbrannt und heizt den gesamten Prozess mit an. Die Hitze wird 6 bis 35 Stunden lang gehalten, dann ersetzt eine Abkühlhaube die Heizhaube, und Luft sowie Wasser kühlen das Innere. Nach ca. 18 Stunden wird der Wasserstoff durch Stickstoff ersetzt.
Jede Glühreise ist durch einen „Glühschlüssel“ definiert. In ihm sind Glühtemperatur, Aufheiz-, Halte- und Abkühlzeit sowie der Wasserstoffverbrauch festgelegt. Die Parameter variieren je nach Stahlgüte sowie Größe und Gewicht der Coils. Derzeit sind etwa 25 verschiedene Glühschlüssel festgelegt. Das Verfahren wird seit den 60er-Jahren angewendet und ist seitdem weiter optimiert worden. Anfangs nutzte man hierfür ein Gasgemisch mit einem Wasserstoffanteil von 5 bis 8 %, erst seit 1987 wird fast 100 % reiner Wasserstoff verwendet.

Wasserstoff in der Feuerverzinkung

Nach dem Glühen können die Bleche verzinkt werden – und auch bei diesem Prozess spielt Wasserstoff eine wichtige Rolle. Salzgitter Flachstahl betreibt zwei Feuerverzinkungsanlagen. Die Feuerverzinkung 2 gilt als die komplexeste Anlage überhaupt im Bereich Kaltflach. Sie vereinigt ­mehrere Prozessschritte und erledigt auch das Glühen gleich mit, sodass hier keine Coils aus der Haubenglüherei verarbeitet werden.
Die Feuerverzinkung 2 ist eine mächtige, imponierende Anlage und mehr als 50 m hoch. Alle Prozesse laufen voll automatisch, nur wenige Mitarbeiter kontrollieren die Abläufe. Im Gegensatz zur Glüherei werden hier die Coils zu Prozessbeginn abgehaspelt, eingefädelt und an das Ende des vorherigen Coils angeschweißt. So entsteht ein endloses Band, das am Ende wieder getrennt wird. Die schematische Darstellung der gesamten Anlage erinnert ein wenig an einen alten Filmprojektor, in dem der Zelluloidstreifen eingelegt, über viele Rollen und Spulen mal nach oben, mal nach unten geführt und am Ende wieder aufgewickelt wird.
In der Feuerverzinkung 2 wird das Stahlband zunächst in mehreren Stufen vorgereinigt und dann im Ofen bei 690 bis 890 °C geglüht. Der Durchlauf durch den Ofen dauert maximal zehn Minuten. Nach einer ersten Abkühlung auf 210 °C wird das laufende Band im Induktionsofen wieder auf 450 °C erhitzt und über eine geschlossene Zuführung in das ca. 420 °C heiße Zinkbad getaucht.
Das Gehäuse der Zuführung ist mit einer Mischung aus Stick- und Wasserstoff gefüllt. Denn kommt Stahl mit Luft in Berührung, oxidiert er sofort. Folglich liegt eine dünne Schicht Eisenoxid auf dem Band, die vor der Verzinkung entfernt werden muss. „Das erledigt der Wasserstoff. Er reagiert mit dem Sauerstoff aus dem Eisenoxid zu Wasser“, erklärt Dr. Frank Barcikowski, Betriebsleiter Feuerverzinkung 2, den Vorgang. Das geschieht bei einer Temperatur von mindestens 500 °C und nur so lange, bis die Atmosphäre in der Zuführung eine maximale Feuchtigkeit erlangt hat. Daher wird sie regelmäßig ersetzt – pro Stunde werden so 1000 m3 des Gasgemischs ausgetauscht, das in der Feuerverzinkung 2 zu 5 % aus Wasserstoff besteht. Damit durch Undichtigkeit keine Luft ins Innere dringen kann, wird in der Zuführung ein Überdruck erzeugt. Ihr Ausgang liegt direkt im Zinkbad, so kommt der Stahl nicht mehr mit Luft in Berührung und kann nicht erneut oxidieren.
Wasserstoff spielt also kurz vor der eigentlichen Verzinkung eine entscheidende Rolle und trägt damit zur ­Qualität ­feuerverzinkter Bleche, die vor allem für die Automobilindustrie wichtig sind, maßgeblich bei. Dabei ist ein kleiner Nebenaspekt besonders zukunftsweisend: In der Feuerverzinkungsanlage 2 kommt schon die kleine Menge jenes Wasserstoffs zum Einsatz, der in der GrInHy-Versuchsanlage auf dem Hüttengelände erzeugt wird.